Klaus Honnef: Julius Busch

Der Surrealismus überschritt die Grenzen der Empirie, die amerikanische Post-Painterly-
Abstraction verwandelte die Malerei in ein Objekt, und in der Konzept-Kunst trat endlich die pure künstlerische Idee an ihre Stelle. Nach verbreiteter Lesart gehorchte die Geschichte dem unwiderstehlichen Gesetz des Fortschritts. Inzwischen ist dieses Modell nicht weniger historisch überholt als die Bildentwürfe der Malerei vor ihrer Entbindung von den vermeintlichen Zwängen der Bezugspflicht gegenüber der sicht- oder vorstellbaren Gegenstandswelt. Gleichwohl scheint Julius Busch dem Emanzipationsdrall eine weitere Drehung verpasst und zu guter Letzt auch noch den Bildlegenden den Rang der Eigenständigkeit verliehen zu haben. Zumindest auf den ersten Blick. Denn die Bildtitel tummeln sich als quasi-autonome Elemente auf den Flächen seiner Werke. Sowohl an einem bestimmten Ort unterhalb einer Fotografie als auch oben wie unten im Bildfeld und in einheitlicher Schriftgröße. Gleichzeitig hat er die Bildlegenden wieder zum Leben erweckt, waren sie doch im Lichte der Fortschrittlichkeit des Weges der Malerei längst einer Zahlenchiffre respektive der besonders einfallsreichen Bezeichnung „o.T.“ (ohne Titel) zum Opfer gefallen. Oder verhält es sich hier wie angesichts der tatsächlichen Geschichte der Malerei – und eher im Sinne der legendären Monty Pythons – ganz anders?

Fast alles spricht dafür. Aber damit beginnen die Probleme, den Werken von Julius Busch im Zusammenhang der nun wohl postmodernen Kunst einen Ort ausfindig zu machen, der sich nicht als die beliebige „Alles-ist-Kunst“-Wolke entpuppt. Und je intensiver ich mich mit den künstlerischen Arbeiten von Julius Busch beschäftige, desto nachdrücklicher dämmert mir, dass es ihm vielleicht gerade darum geht.

Deshalb ist es notwendig, einen genauen Blick auf die Werke selbst zu werfen. Zunächst will ich mit dem bewusst angewendeten Begriff „Werk“ auf seine künstlerischen Zeugnisse ihren  besonderen Charakter andeuten, da es sich weder um Bilder noch um Plastiken oder Skulpturen handelt. Zweifellos sind es Bildwerke. Die Bestimmung Montagen trifft in Grenzen ebenfalls zu. Dennoch handelt es sich nicht um Fotomontagen. In jedem dieser Bildwerke ist nur ein einzelnes fotografisches Bild platziert, und wo, seltener, zwei, drei auftauchen, sind sie voneinander strikt separiert. Zu ihnen gesellen sich Satzkürzel (und zugleich Bildtitel); viele aphoristisch verkürzt wie etwa „Möchtegern des Ansporns“ oder „Alphabetisierung der Lippenbekenntnisse“ sowie, namentlich in den früheren, vertraute, dennoch ungewöhnliche Produkte der Gegenstandswelt wie Mausefallen oder Greifarme. Obendrein die Signatur des Künstlers, gedruckt und handschriftlich. In den späteren Werken ist sie von der Vorderseite auf die Rückseite gewandert.

Obwohl die verschiedenen Bildteile in einem sorgfältig ausgearbeiteten Zusammenhang stehen, ist auch die Einstufung der Bildwerke als Montagen relativ unzulänglich. Es fehlt ihnen nämlich das ästhetische Mittel des Konflikts. Die Bildteile gruppieren sich übersichtlich nach einem durchsichtigen Ordnungsprinzip auf dem Bildgrund, und die Kollision ereignet sich allein in unserem Kopf. Und auch nur dann, wenn uns gewissermaßen ein Licht aufgeht.   „Mädchenprivileg des Augenblicks“ versammelt im oberen Sektor zwei schräg aufgebrachte Mausefallen, rechts und links von der Schelle einer Klingel, darunter in Großbuchstaben der Schriftzug „MÄDCHENPRIVELEG DES“, der sich unter der Amateurfotografie zweier junger Frauen mit dem Wort „AUGENBLICKS“ fortsetzt. Die gedruckte und darüber handschriftlich vollzogene Signatur über einer Datumsangabe ergänzen den Bildeindruck.

Im Gegensatz zur „klassischen“ Montage zündet das Bildensemble nicht auf der Schiene einer vorgeprägten Ideologie wie im Kino des großen Sergej Eisenstein, sondern in mehrere Richtungen, die uns Betrachtern gleichermaßen ein ziemlich weitgefächertes, gleichwohl abgestecktes „Einsichts“spektrum eröffnet. So, wie es der komplexen Verfassung der Welt, in der wir leben, angemessen ist. Unbestreitbar aber ist, dass Julius Buschs Zündung einen  sardonischen, bisweilen scharfen, ja ätzenden Witz hervorbringt. Von Neuem allerdings ein Wort, das Missverständnisse stiftet. Busch macht keine Witze. Sein Witz assoziiert dessen einstige Bedeutung, die von Geist. Womöglich liegt das in der Absicht seiner Kunst, dass er auf die Vieldeutigkeit der Worte und Begriffe anspielt, auch derer, die in der Kunstkritik gebraucht werden. Und die Bilder, die Gegenstände? Für Letztere hat Marcel Duchamp die Ambivalenz nachgewiesen, indem er ein Pissoir von der Bedürfnisanstalt in einen Kunstraum umsiedelte. Für die Bilder weiß es der Volksmund: Ein Bild erzählt mehr als tausend Worte – bloß angesichts einer Fotografie glaubt es niemand.

Ehe ich mich den Fotografien zuwende sowie dem Zusammenhang zwischen Fotografien und den übrigen Bildmotiven, will ich den materiellen Träger der Werke, also das, auf dem Bilder und Worte und manchmal Gegenstände versammelt sind, näher betrachten. Er besteht in den früheren Werken aus Sperrholzplatten, in den späteren aus Eichenholzblättern. Die Strukturlinien des Holzes sind das, was für die Malerei die Webtextur der Leinwand ist: subtile Ausdrucksformen, die einen spürbaren, optisch aber kaum registrierten Einfluss auf die Bildwirkung ausüben. Ich sehe zudem eine feine Anspielung auf den Gegensatz von industrieller Zivilisation und Natur. Den zufälligen Schraffuren der Sperrholzplatten kontrastieren die gewachsenen Maserungen der Eichen wie das Rohe der zurechtgeschnittenen Sperrholzplatten „feinste(r) Tischlerarbeit“. „… biedermeierliche Kunstsinnigkeit“ adelt, bilanziert Julius Busch salopp, „das Profane“.

Während die Eichenholzplatten erhabene Leisten umfangen, wurden die künstlerisch bearbeiteten Sperrholzplatten in einfache flache Kartonschachteln eingelegt. Dabei bilden sich unwillkürlich Schattenfugen. Geschulte Betrachter könnten darin eine Parodie auf eine künstlerische Praxis im Zeichen eines auf die Beschaffenheit der Kunst durchgreifenden Kunstmarktes erblicken: Arte povera im Edeloutfit. 250 Kartonschachteln im Format 70 × 50 × 7 cm hatte Busch bei einer Essener Papiermühle geordert – fünf Paletten trafen bei ihm ein.

Am besten wären die Werke von Julius Busch als Bildobjekte zu apostrophieren. Genauer als visuelle Phänomene, die bewusst zwischen Bild und Objekt schillern, weder Bild noch Objekt. Die Beschaffenheit der eingepassten Fotografien stützt meine Einschätzung. Stammen die Fotografien der früheren Bildobjekte aus dem eigenen Familienalbum – vereinzelt sind auch Fotografien darunter, die einem Verkehrserziehungsbuch entstammen –, werden die späteren eigens inszeniert, um ihren Part im jeweiligen Bildobjekt zu übernehmen. Außerdem erscheinen sie nicht mehr als Bilder auf Papier, sondern werden von einer spezialisierten Werkstatt in der Eifel zu „Porzellanfliesen“ (Busch) veredelt. Solche Art Bilder mit den fotografischen Porträts der Verstorbenen zierten einst und gelegentlich noch heute die Grabstätten auf den Friedhöfen. Ein Siegel gleichsam des gültigen Busch-Codes: Aus Bildern werden Objekte, aus Banalem Kunst. Der zutiefst schwarze Humor des Künstlers feiert in der Veränderung des Bildträgers fröhliche Triumphe.

Der Unterschied zwischen den Bildern aus dem familiären Fotoalbum und den zu Kunstzwecken inszenierten verhält sich wie der Unterschied zwischen den Sperrholz- und den Eichenholzplatten. Zwar vergegenwärtigen die einen wie die anderen gleichermaßen überwiegend Menschen aus dem engeren Umfeld von Julius Busch, die bei irgendwelchen banalen Verrichtungen für die Kamera posieren. Dazu hat der Künstler aus dem Album noch ein paar Momentaufnahmen ausgewählt. Den familiären Bilddokumenten im damals üblichen Schwarz-Weiß haftet im Blick aus der Distanz der ungelenkeCharme des bemühten Stils der Amateurfotografie an, wohingegen der routinierte Perfektionismus der professionellen Fotografie in Farbedas Gepräge der inszenierten Fotografie bestimmt. Was bei den Amateurfotografien unfreiwillig ins Abbild gelangt, die angestrengten Posen oder missglückten Schnappschüsse, die bei einer Begegnung im Nachhinein häufig ein verlegenes Lachen hervorrufen, wird in den professionellen Farbfotografien nach den mitunter absurden Vorgaben des Künstlers extra für die Bildobjekte kreiert.

Nichtsdestoweniger stellt sich die Frage: Was teilen uns die fotografischen Bilder eigentlich mit? Vor allem die Amateurbilder von den Familienfesten, die wundersamen Gruppenbildnisse oder die journalistischen Zeitungsbilder von Männern, die auf dem Fahrrad offensichtlich ihre Arbeitsstätte verlassen; von den Jungs, die ihre Finger in die Weichen der Straßenbahnschienen halten, und jenes Bild der Leute ohne Köpfe? Nicht zuletzt im Vergleich zu den inszenierten? Ins Auge springt zunächst, dass der Umgang den Menschen mit der Kamera selbstverständlicher geworden ist – trotz Pose. Und dass sich der Aspekt des Authentischen der Fotografie von dem Bild selber in das unmissverständliche Vorzeigen seines Gemachtseins verlagert hat, kurzum, dass das Künstliche das tatsächlich Echte am fotografischen Bild ist. Und sonst? In den Bildobjekten von Julius Busch tauschen die Dinge ihre festgezurrte soziokulturelle Zuweisung wie die Texte. Die weisen bildhafte Züge auf; die Bilder fixieren eine Situation oder ein Ereignis. Und das Wichtigste: Sie entwickeln bei ausgiebiger Beschäftigung Eigensinn.

Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken dennoch die Texte. Sie erschließen sich jedoch ebenso wenig auf Anhieb wie die Bilder. Andererseits explodieren sie – nach einem gewissen Verzögerungseffekt – 7 im Gehirn wie Knallfrösche. Eine paar Kostproben: „Alphabetisierung der Lippenbekenntnisse“, „Bleiberecht der Kindheit“, „Niessbrauch des Phantomschmerzes“, „Im Führerbunker der Milchzähne“, „Wunschnötigung der Zuckerwatte“, „Adamsäpfel gefälschter Frauen“, „Tränengeschirr am Volkskörper“ oder „Dem Denken eine Stirnlocke zu entwinden“. Gequirlte Philosophenergüsse bedachte Karl Kraus mit dem bösen Satz, dies sei der Versuch, auf einer Glatze Locken zu drehen. Busch segelt, keine Frage, im Kielwasser des Satirikers Kraus, von Dada, Kurt Schwitters an der Spitze, und den Wiener Poeten um und nach H. C. Artmann. Die Texte sind Produkte emsigen Aufschreibens, Zuhörens, Lesens, Variierens und gelegentlich auch Wiederbelebungen und Neubildungen. Im scheinbaren Nonsens offenbaren sich – buchstäblich – Einsichten, dass es auch im falschen Leben richtiges Denken gibt.

Bei den früheren Werken entstehen – wortwörtlich – die Texte aus den Bausteinen eines jeden Buchstabens. Der Künstler hat sie von Hand aufgestempelt – wie hingeworfen. In Anspruch und Machart entsprechen sie dem „Aroma“ der verwendeten Amateurfotografien. Großbuchstaben benutzte er, weil nur sie im einschlägigen Handel verfügbar waren. Abermals sorgt der Zufall für einen ästhetischen Moment. In den späteren Bildobjekten systematisierte sich das Schriftbild, ist auf Regelmäßigkeit ausgerichtet. Noch später, in den Werken aus Eichenholz, paradieren die Lettern im kostbaren Bronzeguss wie einst die Denkmäler der Mächtigen. Auch das Material verrät dank Buschs parodistisch-sarkastischer Ader seine vielfältigen inhaltlichen Bezüge.

Die Texte sind eigenständige Bildelemente und unterhalten mit anderen nicht minder eigenständigen Bildelementen ziemlich komplexe Beziehungen; mit den Fotografien, in zweiter Linie mit dem Schriftgrad und -typus, in dem sie vorgetragen werden, sowie dem Bildfond samt den Spuren seines materiellen Ursprungs, aus denen sich das Bildobjekt letzten Endes erst fügt und seine Funken schlägt. Die entscheidende Beziehung ist die zwischen Bild und Text. Obwohl sie evident ist, fungiert der Text nicht wie gewohnt als Erläuterung des Bildes und das Bild nicht als Illustration des Textes. Zwei bezeichnende Beispiele:

In „Bleiberecht der Kindheit“ ist linker Hand der Text in drei Zeilen aufgeführt, mittendrin finden sich drei untereinander aufgeklebte Fotografien und zwei gerundete Profile aus Holz. Auf der rechten Seite ist ein hölzernes Spielflugzeug über zwei weiteren Holzprofilen befestigt, das den vertieften Kartonrahmen zu durchschießen droht. Die obere Fotografie zeigt eine Frau mit drei Kindern auf einem Balkon. Gestaffelt wie die Schaulustigen in Edouard Manets berühmtem Gemälde nach einem Gemälde von Goya. Im mittleren Bild rechts erblickt man einen Mann mit erhobenem rechtem Arm, der von einem anderen Mann links aus beträchtlicher Distanz fotografiert wird, und unten den Ausschnitt einer katholischen Prozession mit Baldachin. Das ganze Ensemble ist sorgfältig arrangiert, mit sichtlicher Anstrengung, und mutet gleichwohl seltsam verrutscht an wie das mittige Bild bizarr und gruselig-komisch. Das Assoziationsfeld, das sich in „Bleiberecht der Kindheit“ entfaltet, schweift nicht aus, ist vielmehr satirisch zugespitzt und streift die Grenzen dessen, was die „freiwillige“ Sprachpolizei als „political correctness“ versteht. Der Text richtet einen Spot auf die Bilder. Doch nicht nur numerisch entspricht die Trias Text, Bild und Gegenstand der Trias der Fotografien – ihre Korrespondenz fördert verblüffende Zusammenhänge zutage. Busch kanalisiert den Assoziationsfluss nicht, erlaubt uns Betrachtern einen bewusst schlüpfrigen Spielraum.

Auf dem porzellan-fotografischen Bild in und von „Maiglöckchentod bigotter Blauäugigkeit“ sitzen zwei junge Frauen auf Stühlen exakt in der Mitte über dem Text. Die eine schaut uns an, die andere an uns vorbei. Vor ihnen ein Waffeleisen, eingestöpselt; neben ihnen auf dem Boden geöffnete Metallkästchen, wie für das „ewige Licht“ auf Friedhöfen oder die Laternen bei Martinsumzügen, aber leer. Die Frauen umgreifen mit einer Hand die Griffe eines  Bolzenschneiders. Aus welchem Grund? Um mit dessen Hilfe das Waffeleisen zu traktieren? Wir erfahren es nicht. Zum Zwecke, Technik mit Technik zu behandeln? Das Instrument ist in jedem Fall unangemessen, und wie sie es festhalten, grotesk. Die Pose der Frauen hat das Herrscherporträt zum Vorbild, ihre körperliche Haltung indes spottet der Zuschreibung.

Ein dritter Werkkomplex neben den frühen und den späteren Bildobjekten rekrutiert sich aus wüsten, ausladenden Assemblagen, zusammengebraut aus Fotografien, Gemälden, Kleinskulpturen, Neonröhren, Nippes, alten Gebrauchsgegenständen. Gelsenkirchener Barock mit Kunstanspruch. Manche sprechen, manche leuchten. Vielfach mit politischem Bezug. In ihnen gibt sich der künstlerische Hintergrund von Julius Busch zu erkennen. Drei Jahre assistierte er Edward Kienholz. In Berlin und im amerikanischen Hope, Idaho, erlernte er bei ihm sein Handwerk. Danach studierte er Psychologie an der Universität in Köln. Nicht der schlechteste Weg, den Weg der Kunst einzuschlagen.

Kienholz am nächsten sind diese monströsen Assemblagen. Sie atmen den Geist des  Amerikaners und sind auf geradezu penetrante Weise deutsch. Und schon gerate ich an die Klischees, die Julius Busch aufbricht – durch ein Lachen, das uns auch mal im Hals stecken bleibt. Kraus und Co. transzendieren Kienholz. Womöglich für Kunstpuristen ungenießbar. Doch herrlich unangepasst und provokativ.

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